Coptr Gewitter-Warnsysteme beschäftigt sich seit 10 Jahren regelmäßig auch mit der Untersuchung und Rekonstruktion von Gewitter-Ereignissen mit Personenschäden oder -gefährdung durch Blitzschlag bei Open-Air Veranstaltungen. Die Untersuchungen basieren auf dokumentierten, höchstpräzisen Daten des Blitzortungssystems ALDIS/BLIDS, die in Echtzeit verarbeitet werden. Flankiert von Zeugenaussagen und anderer Informationsquellen ermöglicht dies in vielen Fällen auch eine Aufklärung der Frage, ob und zu welchem Zeitpunkt die Veranstalter sowie Organisationen und Behörden mit Sicherheitsaufgaben die Personen im Freien zur Gefahrenabwehr hätten informieren und die Anweisung zur Auflösung der Veranstaltung hätten geben müssen.
Fallanalyse Dortmund am 29.06.2024: Die Aufarbeitung der Vorkommnisse bei den Open-Air Großveranstaltungen am 29.06.2024 in Dortmund (EM-Spiel Deutschland gegen Dänemark) zeigt leider wieder ein bekanntes Muster:
Was ist geschehen? Am Vortag, den 28.06., gab es in öffentlichen Quellen unübersehbare Wettervorhersagen, dass die Veranstaltungen am 29.06. von Unwetter begleitet werden könnten. Der DWD warnte vor einer „Schwergewitterlage“.
Wetterwarnungen:
„Diplom-Meteorologe Dominik Jung von Wetter.net zu BILD: „Ab Samstagabend und in der Nacht zum Sonntag besteht vom Südwesten und Westen bis zur Mitte Deutschlands die Gefahr schwerer Gewitter. Diese könnten extrem heftigen Starkregen bringen, mit Mengen zwischen 40 und 80 Litern pro Quadratmeter innerhalb weniger Stunden. Zudem wird großer Hagel mit einem Durchmesser von etwa 3 cm erwartet, ebenso wie starke Sturm- oder Orkanböen mit Geschwindigkeiten zwischen 100 und 140 km/h. Auch Tornados sind nicht ausgeschlossen.“ Klimatologe Dr. Karsten Brandt von Donnerwetter.de zu BILD: „Es besteht Unwettergefahr mit 50–80 l/m² Regen. Je nach Wettermodell mehr NRW/Hessen/Rheinland-Pfalz, aber auch in den östlichen Bundesländern. Das Deutschland-Spiel in Dortmund am Samstagabend kann ziemlich gewittrig werden. Also in eine Verlängerung sollte es nicht gehen. Am späten Abend drohen hier heftige Regenfälle.“ „Der Deutsche Wetterdienst rechnet für Samstagabend und in der Nacht zum Sonntag mit einer Schwergewitterlage, die vom Südwesten und Westen bis zur Mitte Deutschlands reichen dürfte.“
Durchführung der Veranstaltungen: Am 29.06. wurden die Veranstaltungen im Westfalenpark und auf dem Friedensplatz wie geplant durchgeführt. Eine Vorabinformation des Veranstalters oder der Organisationen und Behörden mit Sicherheitsaufgaben an die Besucher, dass es am Abend unwetterartige Wetterverhältnisse geben kann, ist nicht bekannt.
Dokumentierte Gewitterentwicklung: Die dokumentierte Gewitterentwicklung im Laufe des Abends 66 Minuten vor der Auflösung der Veranstaltungen gestaltete sich wie folgt:
Bildquelle ALDIS/BLIDS: Zugrichtung und Zeitverlauf der Blitzaktivität am 29.06.2024 zum Umfeld des Stadions in Dortmund vor und während der Veranstaltungen im Stadion, Westfalenpark und Friedensplatz mit ca. 37.000 Besuchern unter freiem Himmel.
X-Mitteilung der Polizei um 21:35 Uhr zur Auflösung der Veranstaltungen im Westfalenpark und am Friedensplatz
Bildquelle ALDIS/BLIDS: Detailansicht Erdblitz ca. 350 Meter vom Anstoßpunkt des Stadions in Dortmund um 21:34:54.727 Uhr
Bildquelle ALDIS/BLIDS: 2 Erdblitze im Westfalenpark zum Zeitpunkt der Auflösung der Veranstaltungen
Fazit: Bei Live-Beobachtung und Interpretation dieser Blitz-Datenlage mit Zugrichtung und Zuggeschwindigkeit im Zeitverlauf hätte angesichts der Menschenmenge im Freien die Auflösung der Veranstaltungen im Westfalenpark und des Friedensplatzes zu einem deutlich früherem Zeitpunkt, jedoch spätestens um 21:10 Uhr anstatt nach dem jetzigen Kenntnisstand erst um 21:35 Uhr stattfinden müssen.
Spekulationen über das Ausbleiben einer rechtzeitigen Auflösung: Über den Grund des Ausbleibens einer rechtzeitigen Auflösung der Veranstaltung kann derzeit nur spekuliert werden. Aus vergangenen ähnlichen Fällen in Deutschland weiß man aber, dass gerade bei großen Veranstaltungen häufig bis auf „den letzten Drücker“ zugewartet wird. Gründe hierfür sind u.A. unterschiedliche Lageeinschätzungen der Verantwortlichen, Delegieren der Entscheidungsausübung von einem zum anderen, monetäre Verluste bei Auflösung der Veranstaltung und in der Hoffnung, dass das Unwetter vorbeizieht oder erst nach Ende der Veranstaltung auftritt.
Zusammenfassung aus Stuttgarter Nachrichten: Ein Bericht in den Stuttgarter Nachrichten legt nahe, dass dies auch am 29.06. der Fall gewesen sein könnte. „…Tatsächlich verfügte die Feuerwehr den Abbruch in letzter Sekunde, als das Gewitter schon über der Stadt lag. Man habe hart mit sich gerungen, sagte „[…]“. „Wir haben dann abgebrochen, weil klar war, dass Blitzeinschlag nicht ausgeschlossen ist.“ Auf Tiktokvideos ist zu sehen, wie die Fans begleitet von Donner und Blitzen aus dem Westfalenpark hasten. Dort hatten sich mehr als 30.000 Menschen aufgehalten. Auch die Fanzone auf dem Friedensplatz musste geräumt werden.“
Quellen:
ALDIS/BLIDS Blitzortungssystem
Wettervorhersagen und Warnungen der öffentlichen Medien
Zeugenaussagen und Videodokumentationen
Durch eine frühzeitigere und entschlossenere Reaktion hätten mögliche Personenschäden durch Blitzschlag verhindert werden können. Die Verantwortlichen sollten bei zukünftigen Veranstaltungen dieser Art eine bessere Präventivstrategie entwickeln und umsetzen, um die Sicherheit der Besucher zu gewährleisten.
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